Burkhard Kämper / Hans-Werner Thönnes, Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche (42)
Die Verfassungsordnung für Religion und Kirche
in Anfechtung und Bewährung
Aschendorff Münster 2008, 182 S. kart. 32,80 €
Die vorjährigen Essener Gespräche
durchzog die
besorgte Frage nach der künftigen Relevanz des Staatskirchenrechts.
Man war
zwar der einhelligen Meinung, dass - positiv gesehen - das Staatskirchenrecht in den letzten
Jahrzehnten aus einem Nischendasein kirchlicher Spezialisten heraus gekommen und
somit für viele Zeitgenossen erkennbar geworden sei, dass in ihm zentrale
Fragen unserer Verfassung verhandelt würden.
Gleichzeitig erkannte man, dass es zahlreiche Entwicklungen gebe, die sein Gewicht schmälern
könnten: In den letzten Jahrzehnten wurden immer mehr gesellschaftliche
Konflikte im Religionsbereich mit Rekurs auf die Religionsfreiheit, also auf Art.4
GG, statt auf die Kirchenartikel Art.140 GG, entschieden. Ferner bestand bei der
Ausformulierung der Europäischen Verfassung lange Zeit vor allem das Interesse an der Sicherung der Menschenrechte,
hier: das der individuellen
Religionsfreiheit. Weiterhin wurde wahrgenommen, dass man sich der bereits seit
einigen Jahren erhobenen Forderung, ein allgemeines Religionsverfassungsrecht zu
erstellen anstelle des typisch deutschen "Staatskirchenrechts", kaum
auf Dauer verschließen könne. Und nicht zuletzt war allen Beteiligten
klar, dass bei aller formalen Akzeptanz des deutschen Staatskirchenrechts dieses
angesichts einer fortwährend sinkenden Zahl der Kirchenmitglieder in Deutschland,
ferner dem
großen Sektor derer, die nie einer Kirche angehört haben und der zunehmenden
gesellschaftlichen Präsenz von Muslimen, an innerer Zustimmung verlieren werde.
In dieser Situation der "Anfechtung" holte man sich Trost bei Professor Dr. iur. Dr. rer. soc. Udo Di Fabio, Richter des Bundesverfassungsgerichts und Direktor des Instituts für Öffentliches Recht, Abteilung Staatsrecht. Er betonte unter dem Titel "Staat und Kirche: Christentum und Rechtskultur als Grundlage des Staatskirchenrechts" die Rolle von Religion und Kirche für das Recht des modernen Staates. In einem kurzen Abriss der Christentumsgeschichte skizzierte er, was, unbeschadet auch anderer historischer Einflüsse, gerade das römisch-katholische geprägte Christentum, basierend auf der der Grundsubstanz des Judentums, dem heutigen Staatskirchenrecht beigesteuert habe. Wie dieses allerdings gesichert werden könnte? Auf diese Fragen konnte di Fabio nur pauschal und merkwürdig hilflos reagieren: Die Kirchen sollten sich in der Form der "Aufklärung zweiter Ordnung, ... die sich als reflexive Aufklärung in ihren eigenen Voraussetzungen und Wirkungen selbst beobachtet" diese Traditionen nicht länger nur als destruktive Traditionen angreifen, sondern (sie) ... wieder stärker als ihre Voraussetzungen" begreifen. "Und dazu gehört natürlich auch, wie ich das jetzt hier genannt habe, der christliche Traditionalismus" S. 150. An anderer Stelle empfahl Di Fabio : "Eine Religionsgemeinschaft schöpft ihre Kraft aus der Verbreitung des Glaubens".
Das Einführungsreferat der Tagung hielt der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland Prof. Dr. theol. Wolfgang Huber. Unter der Überschrift "Kirche und Verfassungsordnung" brachte er im Zuge einer historischen Einordnung zunächst die Entwicklung der heute geltenden Verhältnisbestimmung von Staat und Religionen in Deutschland seit dem 16. Jh. in Erinnerung. Den Schwerpunkt legte er dabei auf das jeweils unterschiedliche Verständnis von Religionsfreiheit.
Der Verfassungsrechtler und Direktor des Kirchenrechtlichen Instituts an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Professor Dr. iur. Christian Waldhoff, referierte anschließend zum Thema "Die Zukunft des Staatskirchenrechts". In diesem Zusammenhang verwies er ausführlicher auf die bereits oben genannten Wandlungen, nichts zuletzt auf die als Zumutung erlebte Berliner Rede der deutschen Justizministerin zur Religionspolitik vom 12.12.2006, die u.a. der Frage nachging, "ob unser staatliches Recht noch die religiösen Wertüberzeugungen widerspiegelt, die der einzelne auch teilt" S. 3.
Aufschlussreicher noch als die Referate selbst sind für Interessierte möglicherweise die langen und ausführlich dokumentierten Diskussionsbeiträge im Anschluss an die jeweiligen Vorträge.
Friedrich Halfmann